Ein lautes Leben - ohne Gehörschutz
Das Leben war für Kittinger stets ein grosses Abenteuer – und noch dazu ein sehr lautes. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere flog er mehr als 20 Stunden pro Woche Kampfjets; und immer ohne Gehörschutz.
„Ich bin 29 Jahre lang Jets geflogen. Das ist der Grund, weshalb ich mein Gehör verloren habe“, sagt er. „Es war ein extrem lautes Arbeitsumfeld und wir haben niemals Kopfhörer oder einen Gehörschutz getragen.
Mit 45 stellte Kittinger fest, dass er hohe Töne nicht mehr so gut wie früher hören konnte. Viele Jahre lang konnte er das einfach ignorieren. Die Hörminderung wurde in den nächsten Jahren schlimmer, aber er trug sein Leiden schweigend. Erst mit 70 erhielt Kittinger sein erstes Hörsystem.
Wahrscheinlich lag es an meinem Ego. Ich habe das so lange vor mir hergeschoben, bis ich nicht mehr funktionieren konnte. Als ich die Hörsysteme dann schliesslich bekam, bereute ich, dass ich sie nicht schon früher getragen hatte.
Joe Kittinger
In Schwung bleiben
Seine Hörsysteme haben es Kittinger ermöglicht, auch noch mit über 80 berufstätig zu bleiben. Kittinger unterschrieb 2008 einen Vertrag bei Red Bull Stratos, einem Projekt, das die Leistungsfähigkeit von für grosse Höhen konstruierten Fallschirmen und Druckanzügen erforschen sollte, die für Notrettungen aus der Stratosphäre gebraucht werden. Dort war er als Mentor für Felix Baumgartner tätig, einen 43-jährigen österreichischen Fallschirmspringer, der als Springer des Projekts ausgewählt worden war.
“Ich war der einzige Mensch mit Erfahrung, mit dem Felix sprechen konnte, weil ich der einzige Mensch vor ihm war, der so etwas schon einmal getan hatte“, so Kittinger.
Am 14. Oktober 2012 war es soweit: Felix sass in einer Kapsel, an der ein gigantischer Heliumballon befestigt war, und begann mit dem Aufstieg in die Stratosphäre. Im Zentrum der Einsatzleitung sass Kittinger, der ständig mit Felix in Kontakt stand, ihm Anweisungen und Zuspruch gab. Diese Rolle verlangte Kittingers volle Aufmerksamkeit und schnelles Denken. Vor allem aber war es wichtig, dass er alles hörte.
„Ohne meine Hörsysteme hätte ich nicht arbeiten können“, sagt er. „Mit ihnen konnte ich problemlos kommunizieren.“
Jetzt, wo das Red-Bull-Projekt abgeschlossen ist, sollte man meinen, der mittlerweile 84-jährige Kittinger liesse es endlich etwas langsamer angehen. Doch weit gefehlt.
„Ich suche nach einem neuen Abenteuer. Ich liebe Herausforderungen und die Arbeit mit Forschungsprogrammen“, so seine Motivation. „Noch habe ich dieses Abenteuer nicht gefunden, aber ich halte die Augen offen.“